video_label

9. März 2010

Wir können alles, außer Schulreform


Bürgergespräch mit Staatssekretär Georg Wacker am 3.3. im Feuerwehrhaus in Dossenheim


In seinen Ausführungen verteidigte Herr Wacker zunächst sehr ausführlich das bestehende dreigliedrige Bildungssystem in Baden-Württemberg als eines der besten in Deutschland, wenn nicht in Europa, und stellte die neue Werkrealschule als den großen Wurf zur Verbesserung des Abschlusses in der Sekundarstufe I dar. Auf die Sorgen der Bürgermeister von Orten, in denen kleine Hauptschulen auf Grund sinkender Schülerzahlen vor der Schließung stehen (es wird ein Rückgang um 25 bis 30% in den nächsten 10 Jahren erwartet), hatte Herr Wacker einen echten Geheimtipp parat: man solle die jungen Menschen doch an den Ort zu binden, und zwar mit sehr guter frühkindlicher Betreuung und niedrigen Baupreisen (!). Weiterhin verwies er auf die Verbesserung der Ausbildung der Erzieherinnen und die mögliche Einführung eines letzten Pflichtkindergartenjahres sowie auf die Verbesserung der Deutschkenntnisse der Kleinkinder. Es steht außer Zweifel, dass dies wichtige Punkte sind, ebenso wie die Schaffung von 3200 zusätzlichen Lehrerstellen. Leider ging Herr Wacker in seinen Ausführungen weder auf die Vorteile längeren gemeinsamen Lernens, auf alternative Konzepte anderer Bundesländer noch auf die schwierige Situation der Eltern ein, die über den weiteren Lebensweg ihrer Kinder entscheiden müssen, wenn diese gerade mal 9 Jahre alt sind. Viel wichtiger war es offenbar, das Image der offensichtlich nicht mehr zeitgemäßen Haupt- und Realschule zu polieren, ohne diese allerdings mit wirklich neuen Inhalten zu füllen.

Als nach den sehr umfangreichen Einführung durch Herrn Wacker dann gegen 21.00 Uhr endlich die Bürger das Wort ergreifen konnten, zeigte sich sehr bald, dass das Thema genug Stoff für kontroverse Diskussion bietet. Auf die Fragen nach längerem gemeinsamem Lernen wurde geantwortet, dass dies keine nachweisbaren Vorteile brächte und einen Rückschritt in die 70er mit der Gesamtschule sein. Das will sicher niemand, dennoch gibt es zahlreiche Untersuchungen die belegen, dass man mit einer Primärschule bis zur 6. Klasse sehr wohl die Schulstandorte stärken, den Zeitpunkt der Entscheidung über den weiteren Bildungsgang der Kinder um 2 Jahre verschieben und damit Eltern und Kindern mehr Chancen bieten kann. In den dann kleineren Gymnasien könnte der Klassenschlüssel verkleinert und damit den höheren Anforderungen des G8-Abiturs besser Rechnung getragen werden. Leider war Herr Wacker in diesen Punkten nicht zu einem Nachdenken zu bewegen. Er sprach eher von Güterabwägung und Erhalt des bestehenden Systems. Auf die Frage nach einer Veränderung der Lehrerausbildung wurde geantwortet, dass dies alles auf Jahre durcheinander bringen würde und deshalb lieber sein gelassen wird.


Am Ende blieb nicht mehr genug Zeit, um die konkrete Situation vor Ort zu erörtern. Dossenheim bietet beste Bedingungen für die frühkindliche Betreuung, was leider durch das Land nur rückwirkend und bis zu dem gesetzlich vorgeschriebenen Schlüssel bezahlt wird. Auf die Frage von Herrn Bürgermeister Lorenz, ob unsere Gemeinde, die ja den Vorschlägen von Herrn Staatssekretär schon entspricht und die Kleinkindbetreuung ausgebaut hat, mit den entsprechenden Mitteln rechnen kann, wurde geantwortet, dass keine Gemeinde bevorzugt wird, sprich: Dafür sind keine weiteren Gelder vorhanden.

Auf die konkrete Frage, ob die Hauptschule in Dossenheim geschlossen wird, antwortete Herr Wacker, dass das Land keine Hauptschule schließen wird. Diese undankbare Aufgabe werden dann wohl wieder die Schulträger, also die Gemeinden, übernehmen müssen, die auch in den Entscheidungsprozess zur neuen Werkrealschule nur wenig eingebunden waren und bis zum Schluss über die wirklichen Kriterien im Unklaren gelassen wurden.


Es war ein unbefriedigender Abend für den Schulstandort Dossenheim. Aus Sicht von Bündnis 90/Die Grünen sollte sich die Diskussion nicht auf die Frage nach der neuen Werkrealschule beschränken, sondern sollte vielmehr als Einstieg in eine Debatte über komplett neue Strukturen des Lernens genutzt werden. Denn letztendlich wird es nach dem Willen der Landesregierung bald ein viergliedriges Schulsystem geben, und alle Dossenheimer Kinder werden ab Klassenstufe 5 weite Fahrwege zu ihren Schulen in Kauf nehmen müssen. Zum Glück hat diese jetzige Regierung nur noch eine Restlaufzeit bis zur Landtagswahl im nächsten Jahr.


PS: Am 3.3.10 haben alle Parteien der Hamburgischen Bürgerschaft (CDU, GAL, SPD, LINKE) einstimmig die Einführung der Primärschule bis Klasse 6 beschlossen. Im Juli wird es einen Volksentscheid über die Primärschule geben. Die Klassenstärke soll auf maximal 23 Schüler festgelegt werden, in Problemstadtteilen auf 19. An diese Vereinbarung sind alle Parteien für die Dauer von 10 Jahren gebunden.

Manchmal ist es eben doch gut, hochdeutsch zu können.




expand_less